Träge Erwartungen

Im Zentrum der geldpolitischen Strategie der SNB steht die Inflationsprognose. Sie zeigt an jeder Lagebeurteilung die Erwartungen der SNB für die zwei Folgejahre, geknüpft an eine Reihe Bedingungen wie etwa das aktuelle Zinsziel für den 3-Monats-LIBOR oder den Ölpreis.

Verwartet?
Streng beim Mandat genommen bedeutet eine verfehlte Prognose auch eine daneben liegende Geldpolitik. Das Unschöne am Inflationsziel ist aber, dass man es nicht zu streng nehmen sollte. So sind Abweichungen wegen angebotsseitiger Störungen (z. B. ein Ölembargo) gerechtfertigt.

Wie gut die SNB-Prognostiker lagen habe ich für die kurze Geschichte der bedingten Vorhersage aufgemalt. Volltreffer sind weiss, orange ist mehr Inflation als erwartet, und blau ist weniger Inflation als erwartet.

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Das entstandene Bild ist eher blau, aber keinesfalls eindeutig. Das für mich überraschende sind diese Treppen. Es scheint als würde die SNB eine einmal getroffene Inflationsprognose für ein Quartal kaum noch anpassen. Der prognostizierte Wert wandert so von Lagebeurteilung zu Lagebeurteilung immer näher an die Gegenwart heran. Erst in den letzten ein, zwei Quartalen finden wir allenfalls nötige Korrekturen.

Prognose outsourcen
Ein schlauer Kollege meinte zu diesem Bild „gescheiter wären ohnehin inflationsgeschützte Staatsanleihen“. Absolut, durch den Vergleich ihrer Renditen mit denen ungeschützter Staatsanliehen könnte man eine Inflationsprognose der Marktteilnehmer ableiten. Allerdings spielen in dem Vergleich auch Aspekte wie die unterschiedliche Liquidität der beiden Papiere eine Rolle.

Noch besser wäre daher ein „inflation prediction market“. Und am allerbesten oben drauf noch Lars E.O. Sevenssons „target the forecast“ – wenn denn das Mandat passt.

Die nominale ist nicht die reale Wirtschaft

Die aktuelle Diskussion über das Zinsniveau enthält ein Stück Geldillusion. „Geldillusion“  bezeichnet den häufigen Denkfehler auf nominale statt auf reale Preise zu achten.

nominale vs reale Kaufkraft
Der Unterschied zwischen nominalen und realen Preisen (z. B. Löhnen) sieht man am Besten bei hohen Preisschwankungen. Auf dem Papier hat man in zwei Jahren das gleiche Gehalt. Verdoppeln sich am Ende des ersten Jahres alle Preise ausser die Löhne, können Arbeitnehmer im zweiten Jahr nur noch den halben Warenkorb kaufen. Nominal ist es der gleiche, real der halbe Lohn.

nur Reales zählt
Konsum (im weitesten Sinne) macht glücklich. Konsum ist real. Ich möchte einen Apfel essen. Ich möchte ein Fahrrad fahren, nicht Fahrradeinheiten im Wert von 500 Franken. Aus diesem Grund sollten wir uns an realen Grössen orientieren, tun wir aber nicht immer.

Wo ich gerade bei Preisen bin:
Preis des Geldes = 1/LIK
99.9% der Befragten hätten hier „Zins“  geantwortet. Stimmt aber nicht. Zinsen sind der Preis für Kredit.

Vor 100 Jahren wäre diese Frage leichter gewesen. Damals kostete ein Franken etwa 0.3g Gold. Gold hatte damals die Funktion des „nominalen Ankers“, die heute der Preisindex (LIK) bzw. seine Wachstumsrate übernommen hat.

Nominaler Anker? Später mehr.

Die Liebe des Zentralbankers zum Durchschnitt

Zwei Details.

Intervention à discretion
Kurz nachdem die Untergrenze aufgehoben wurde, habe ich einmal versucht die Interventionen der SNB anhand der geldpolitisch wichtigen Daten nachzuvollziehen. Aussichtslos. Zwar gibt es diese Zahlen jeden Montag pünktlich um 9 Uhr. Aber dann bekommt man es mit einer Reihe von überlappenden Durchschnitten zu tun aus deren Kette man eigentlich gar nichts ableiten kann.

Erwartete Dynamik?
Ähnlich ist es bei der Inflationsprognose. Da werden lediglich Quartalsschnitte preisgegeben aus denen sich leidlich schwer der erwartete Teuerungsverlauf erkennnen lässt. Während dem laufenden und dem Folgequartal kann man folglich wenig ableiten, ob die beobachtete Dynamik den Erwartungen der SNB entspricht.

Regeln vs Diskretion
Beide Punkte, und sie sind zugegeben marginal, interpretiere ich als Konsequenz diskretionärer Geldpolitik. Die SNB ist damit nicht allein, ja sogar im eindeutigen Konsens. Pressekonferenzen sind voll von Zentralbankern, die sich nicht festlegen lassen.

Zwei Details dazu:

  • Der Diskretionsbedarf ist aktuell absolut berechtigt, aber eine Folge des geldpolitischen Ziels du jour (Inflation). Diskretion ist keine Grundeigenschaft der Geldpolitik.
  • Diskretion ist zweischneidig. Sie gibt der SNB Spielraum in der Gestaltung ihrer Geldpolitik. Gleichzeitig erschwert es Diskretion die geldpolitischen Ziele zu erreichen, da die wirtschaftlichen Akteure nicht genau wissen auf welche geldpolitschen Rahmenbedingungen sie denn reagieren sollen. Die aktuelle Debatte um den Liftoff des Fed ist eine besonders grelle Variante dieser generellen Unsicherheit.

Zu beiden Details dann später mehr.

Kritiker, nehmt die SNB beim Mandat!

Ex-SNB-Chefökonom Kurt Schiltknecht gibt ein NZZ-Interview voller zweifelhafter Vorwürfe. Man kann der SNB durchaus für ihre jüngere Geldpolitik angreifen, aber nicht so.

Unsinn 1: Die SNB vernächlässigt Gruppe XY

Sparer, Pensionisten, Exporteure, terre des hommes: Die SNB hat überhaupt gar keine Verantwortung gegenüber irgendeiner Anspruchsgruppe. Die SNB hat ein Mandat und gottlob lässt sie sich hauptsächlich von diesem leiten. Wenn die SNB wegen dieser oder jener Gruppe vom Ziel der Preisstabilität abweichen würde, wie wäre es da wohl um den Franken bestellt?

Unsinn 2: Die negative Inflation ignorieren, Zinsen heben!

Hier fordert man die SNB direkt auf ihr Mandat zu brechen. Man behilft sich dabei in der Regel mit dem Hinweis, das Bisschen negativ gibt noch keine Deflation.

Dieser Hinweis ist ein ablenkender Strohmann. Deflation ist doppelstellig! Sowas sieht doch kein Mensch. Mal sicher keiner in der SNB. Das ohnehin zu lockere Mandat der SNB verspricht lediglich positive Inflation unter zwei Prozent. Und sie verfehlt es.

Unsinn 3: Die negative Inflation, das sind die Energiepreise.

Das ist doppelt falsch.

Zum einen steht im Mandat der SNB der ganze Landesindex und nicht irgendein Teil davon. Sie müsste also laut Mandat auf Inflationsschwankungen jeder Ursache reagieren. Das wäre zweifellos unsinnig, aber spricht vor allem gegen das aktuelle Mandat als für eine Zinserhöhung.

Zum anderen ist Erdöl einfach nur irrelevant weil mittlerweile sogar die Kerninflation der Schweiz negativ ist. Je nachdem ob man jetzt BFS oder SNB nehmen will schon Jahre lang:

Lik_coreP.S.: Dieses Interview hätte man mit tausenden weiterer Kommentaroren aufnehmen können. Meine Kritik hat mit Herrn Schiltknecht nichts zu tun. Schön wär’s, wäre er allein mit dieser Sicht.

P.P.S.: Diese Liste ist selektiv. Das ganze Interview wäre dann doch zu viel des Guten.

Vollgeld würde wenig ändern

Letztens nach meiner Meinung zur Vollgeld-Initiative gefragt, fiel mir wenig ein. Für die Geldpolitik ist die konkrete Ausgestaltung des Bankensystems recht egal. Meiner Ansicht nach ändert Vollgeld „lediglich“ (1) die Passivseite der Geschäftsbankbilanzen und (2) eliminiert ein Motiv (von vielen) für bank runs. Das ist nicht nix, aber schon weniger als gemeinhin vermutet.

Kreditvergabe wird nicht durch Depositen beschränkt

Was meiner Ansicht nach in der Diskussion vegessen wird ist, dass das Volumen der Aktivseite einer Geschäftsbankbilanz durch die Kapitalquote und nicht durch die Depositenquote beschränkt wird. Die Diskussion unterschlägt, dass Depositen nur ein Teil der Passivseite sind. In der Schweiz bilden Sichteinlagen bei Geschäftsbanken etwa die Hälfte der Passivseite (was ich persönlich überraschend viel finde).

Ein Vollgeldsystem verlangt meinem Verständnis nach, dass Depositen auf der Passivseite und flüssige Mittel auf der Aktivseite (Bargeld, Sichteinlagen bei der SNB) gleich gross sind. Das bedeutet, dass die Banken jeden Kredit, den sie vergeben wollen durch eigene Schuldverschreibungen finanzieren müssen. Aktuell machen sie das nicht, weil Depositen sicherlich die günstigere Finanzierungsquelle sind (Dank sei dem financial safety net).

Diese höheren Finanzierungskosten der Banken würden sich auf die Kreditvergabezinsen durchschlagen. In einer ceteris paribus Welt würde das Kreditvolumen folglich sinken, die Geschäftsbankbilanzen sich verkleinern, die Wirtschaft schrumpfen, etc.

Die SNB schläft nicht

Ceteris paribus heisst hier aber zu unterstellen dass die SNB sehr tief schläft. Viele Leute verstehen nicht, dass die Zentralbank vollkommen endogen ist bzw. sein sollte und sein möchte. Geldpolitik ist ein Windrad, kein Ventilator. Die SNB wählt ihre Geldpolitik nicht aus der Luft, sondern versucht den Abstand zwischen dem tatsächlichen Zins und der natural rate klein zu halten. Die SNB müsste meiner Ansicht nach die Bilanz in einem Vollgeldsystem entsprechend aufblähen bis das alte Zinsniveau/Kreditvolumen wieder hergestellt ist. 

Das von Initiatoren und Mahnern beschriebene (Gesund-)schrumpfen würde meiner Ansicht nach nur einsetzen, wenn die SNB das so will (= lange Rezession wegen zu hoher Zinsen die irgendwann den Kapitalstock und ergo das Potenzialwachstum reduziert).

Bleiben die Effekte (1) andere Passivseite (anteilsmässig weniger Depositen, mehr Schuldverschreibungen ggü. Privaten und SNB), und (2) keine Bank runs aus Angst unzureichender Barreserven. 

Moral hazard nicht betroffen

Für die Kreditvergabeprudenz und sonstige Geschäftsbankanreize ist Vollgeld meiner Ansicht nach vollkommen egal. Das ist bei den Chicago Plan Promotoren Benes und Kumhof anders (s. Figure 1 am Ende des Artikels). Allerdings ist das bei denen Folge der Annahme, dass eine allwissende Regierung eine Änderung der Kreditvergabe erzwingt aka imprudent lending verbietet (s. p.34 „[The government] exercises this ability […] by transferring part of the remaining treasury credit claims against banks to constrained households and manufacturers, by way of restricted accounts that must be used to repay outstanding bank loans.“) Ich bin sehr skeptisch, dass irgendwer so etwas kann und der dann auch noch ausgerechnet für den Bund arbeitet.

Zentralbankgeld ≠ Bargeld

Ein marginaler Punkt zum Schluss: Die Geldmenge der Schweiz besteht zur Hälfte aus Zentralbankgeld und hat das immer mehr oder weniger getan. Mit ihren 10% verwechseln die Initiaten „Zentralbankgeld“ mit „Bargeldumlauf“ („Heute macht das Giralgeld der Banken 90% der kaufkräftigen Geldmenge aus, nur 10% unseres Geldes sind Nationalbankgeld, nämlich das Bargeld.“). Das ist zumindest irreführend weil von diesen 90% eben 40 Prozentpunkte von Geschäftsbanken besessenes und bei der SNB hinterlegtes Giralgeld ist. Die Sichteinlagen der Geschäftsbanken bei der SNB sind aber auch Zentralbankgeld und nicht zu verwechseln mit Sichteinlagen bei Geschäftsbanken selbst. SNB Sichteinlagen können (bis jetzt) jederzeit in Banknoten umgewandelt werden, Giralgeld bei Geschäftsbanken eben nicht.

Der Franken bleibt stark: Mickey Mouse Version

Im Mediengespräch zur Lagebeurteilung 2/2015 wurde Thomas Jordan nach den Gründen für die aus SNB-Sicht bevorstehende Abschwächung des Franken befragt. Die Lehrmeinung ist, dass Wechselkurse langfristig gemäss den Zinsendifferenzen schwanken. Die Zinsen sind wiederum eine Funktion des realwirtschaftlichen Umfelds (Angebot/Nachfrage nach Kredit) und allenfalls abweichender Geldpolitik.

Genau das gab Jordan meinem Verständnis nach zur Antwort. Er verwies auf die Unattraktivität des Frankens vis-a-vis anderer Währungen angesichts des Negativzinses und der konjunkturellen Abschwächung. Letzteres ist also ein Hinweis, dass die Zinsen hierzulande länger tief bleiben als z.B. im zaghaft aufblühenden Euroraum.

Meine Zinsdifferenzperspektive spricht allerdings FÜR eine anhaltende Frankenstärke: Die impliziten Zinserwartungen zeigen keinerlei Rückkehr der historischen Zinsdifferenz in der kurzen Frist. Stimmt das, würde der Franken stark bleiben.

Implizite Zinserwartungen berechnen: Mickey Mouse Version

Man kann versuchen die Zinsen in x Jahren aus der heutigen Zinsstrukturkurve abzuleiten. Es gibt dafür verschiedene Methoden, je nachdem welcher Theorie der Zinstrukturkurve man verschrieben ist. Hier präsentiere ich eine Mickey Mouse Version nach der „Markterwartungstheorie“. „Mickey Mouse“ deswegen, weil es eine sehr simpel anwendebare Theorie ist, die aber wahrscheinlich wichtige Faktoren übersieht.

Laut Markterwartungstheorie ist der Zinssatz, den man heute auf eine Staatsanleihe mit zwei Jahren Restlaufzeit bekommt das Produkt aus Zinsniveau heute und Zinserwartung für in einem Jahr. Für dreijährige Restlaufzeit ist es dann das Produkt aus Zinsniveau heute, Zinserwartung für in einem Jahr und Zinserwartung für in zwei Jahren, usw.

Was diese Theorie ignoriert sind Liquiditäts- und Risikoprämien verschiedener Laufzeiten. Staatsanleihen mit einjähriger Restlaufzeit mögen einfacher verkäuflich sein, als solche mit 10 Jahren. Auch das Preisrisiko der beiden ist unterschiedlich, hat man über zehn Jahre doch eine fundamental grösseres Zinsrisiko als über nur eines.

In einer später nachzureichenden Vollblutversion werde ich diese Prämien separat schätzen. Indem ich sie heute ignoriere, nehme ich implizit an, dass diese Prämien für deutsche und schweizerische Staatsanleihen genau gleich gross sind. Persönlich würde ich tippen, dass die Liquiditätsprämie für BUNDs niedriger, die Risikoprämie jedoch höher ist als für Eidgenossen.

In naher Zukunft tut sich nix

Der Markterwartungstheorie folgend habe ich die impliziten Zinsen für deutsche und schweizerische Staatsanleihen in 1, 2, 3, … 10 Jahren berechnet. Die Zinsdifferenz aus diesen Schätzwerten schaut aus wie folgt:

erwartete_differenzZwei Beobachtungen: Zum einen sieht man wie schlecht es bereits um die Zinsdifferenz stand, bevor die SNB im Dezember die Negativzinsen einführte und im Januar verschärfte. Ohne den Januarschritt hätten wir wohl einen deutlich stärkeren Franken. Ebenfalls sieht man wie die Differenz seit März auch für weitere Distanzen wieder aufgeht.

Was man allerdings nicht sieht ist eine steigende Zinsdifferenz in der kurzen Frist. Die dunkelblauen Linien sind seit Januar flach. Seit dem SNB-Zinsschritt zur Freigabe des Wechselkurses hat sich nichts getan. Dies ist auch in den hier nicht abgebildeten Junizahlen noch so. Investoren erwarten demnach keine Entspannung, der Franken bleibt stark.

Für eine Frankenabwertung bräuchte es also mindestens eine der folgenden Überraschungen: (1) Die SNB geht tiefer in die Negativzinsen, (2) die schweizerische Rezession verschärft sich rapide, oder (3) der deutsche/europäische Wirtschaftsaufschwung verstärkt sich rapide. Die vierte Überraschung, ein Zinsschritt der EZB, ist in den nächsten anderthalb Jahren vom Tisch.

Die jüngsten Bewegungen am deutschen Staatsanleihenmarkt würde ich eigentlich (3) zuschlagen. Was dazu nicht passt ist die DAX-Performance im gleichen Zeitraum. Trotzdem sehe ich die primären Chancen auf einen schwächeren Franken in (3). Die anderen beiden Optionen könnten gemeinsam eintreten, sobald die Schweizer Arbeitgeber nicht mehr an einen sich abschwächenden Franken glauben.

Frankenstärke und Zinsdifferenz

Es ist wieder Lagebeurteilungszeit. Kommenden Donnerstag erklärt die SNB ihre Interpretation des aktuellen wirtschaftlichen und monetären Umfeldes.

Eine Änderung der geldpolitischen Haltung würde mich sehr überraschen. Die Schweizer Wirtschaftsdaten sind schlecht, aber im Rahmen der SNB-Vorhersage. Und auch der Franken bewegte sich zuletzt etwas weg von seinen Höchstständen gegen den Euro. Das Direktorium wird weiter abwarten.

Anlass und Zeit, eine meiner Grundthesen zu untermauern.

Risko allein ist es nicht

Die Flucht verunsicherter Weltbürger in den „sicheren Hafen Schweizer Franken“ kann allein nicht viel erklären. Ja, es gibt zu bestimmten, relativ eindeutigen Zeitpunkten starke Zuflüsse. Aber wenn Aktienmärkte überall Höchstmarken erreichen, kann die Welt nicht so wahsinnig unsicher sein.

Wichtig sind die versiegten Anlageströme der Schweizer ins Ausland. Insbesondere die Schuldtitelkäufe sind in den letzten Jahren vollkommen eingeschlafen. Auch hier zieht die Risikoscheu nicht als wichtiger Grund für die Frankenstärke. Das wichtigste Schuldnerland der Schweizer ist der durchaus solvente nördliche Nachbar.

Die Zinsdifferenz ist zentral

Die sich seit 2008 angleichenden Zinsniveaus zwischen der Schweiz und den zentralen Währungsräumen sind der für mich zentrale Grund der Frankenstärke. Den Schweizer Anlegern ist damit ein wichtiger Anreiz für Investitionen im Ausland abhanden gekommen.

Ein Vergleich deutscher mit schweizerischen Staatsanleihen ergibt etwa folgendes Bild:RLZQuer über die Laufzeiten haben deutsche Papiere zwischen Euroeinführung und Finanzkrise etwa um 1.5 Prozentpunkte höher rentiert (Ausnahme: 2002-3). Mit der Finanzkrise senkten die Zentralbanken im Gleichschritt ihre Zinsziele gegen oder auf Null. Dabei zog es zunächst die kurzen Laufzeiten mit.

Die SNB senkte ihr Zielband damals nicht unter Null. Die Zinsdifferenz zwischen Eidgenossen und Bundesanleihen schwand dahin und das zunehmend durch die gesamte Zinsstrukturkurve. Der Franken wertete auf. Die Untergrenze kam aus dieser Perspektive zu einem wichtigen Zeitpuntk als die Zinsdifferenz nämlich über alle Laufzeiten deutlich ins Rutschen geriet.

Mit Euroland geht es bergauf

Für die aktuelle Lagebeurteilung wird das SNB-Direktorium nun von der jüngsten Frankenentwicklung in seiner abwartenden Haltung bestärkt. Nach der Freigabe tendierte der Kurs trotz anfänglicher Interventionen immer Richtung Parität zurück. Seit Mitte April jedoch fällt der Franken gegen den Euro ohne Zürcher Anschubhilfe.

Auch hier könnte wieder die Zinsdifferenz eine der Treiberinnen sein. Bundesanleihen, Zinsdifferenz und Eurokurs finden um den 20. April 2015 ihren Tiefpunkt. Seither steigen sie:

dailyRLZGemeinsam? Wenn man will kann man einen einheitlichen Verlauf seit Ende April erkennen. Der einzige Aspekt ist die Zinsdifferenz wohl offensichtlich nicht. Aber ein wichtiger, würde ich weiter behaupten.

Ich bin nicht ganz falsch

Scheinbar habe ich die Ausführungen an der Lagebeurteilung 1/2015 nicht ganz schlecht verstanden. Bei der Generalversammlung der SNB erklärt Thomas Jordan:

Traditionell sind die Zinsen in der Schweiz niedriger als in anderen Ländern, weil die Schweiz seit jeher eine geringe Inflationsrate aufweist und auch politisch sehr stabil ist. […]

Im Zuge der Finanzkrise sind die Zinsen im Ausland insgesamt stärker gefallen als in der Schweiz. Die Zinsdifferenz zwischen Anlagen in ausländischer Währung und Anlagen in Franken hatte sich dadurch gegen Ende des vergangenen Jahres fast auf null verringert. Damit wurde der Franken für Investoren noch attraktiver. Diese Attraktivität des Frankens gilt für inländische und ausländische Investoren gleichermassen. Der Aufwertungsdruck auf den Franken entsteht nicht nur, weil Ausländer im Franken investieren wollen. Er entsteht auch durch Inländer, die weniger im Ausland investieren als früher oder ihr Auslandvermögen zurück in die Schweiz bringen.

Lassen Sie mich dies etwas ausführen. Seit langem weist die Schweiz einen Leistungsbilanzüberschuss aus, das heisst, sie exportiert mehr Waren und Dienstleistungen als sie importiert. Zudem wirft das hohe Auslandvermögen bedeutende Kapitaleinkommen ab. Aufgrund der Leistungsbilanzüberschüsse hat die Schweiz über die Zeit ein beträchtliches Auslandvermögen aufgebaut. Diese Vermögensbestände im Ausland waren überwiegend in Fremdwährung angelegt, unter anderem auch wegen der attraktiveren Renditen. Die mit den Leistungsbilanzüberschüssen erzielten Nettoeinnahmen müssen jeweils wieder «exportiert» werden, indem ausländische Wertpapiere gekauft oder Investitionen im Ausland getätigt werden. In den Jahren vor der Finanzkrise hielten sich die Zuflüsse durch den Leistungsbilanzüberschuss und die Abflüsse mittels privater Kapitalexporte in etwa die Waage.

Nach der Finanzkrise hat sich das Bild komplett geändert. Der Risikoappetit in der Schweiz hat sich stark reduziert. Der inländische Privatsektor investiert seither den Erlös aus dem Leistungsbilanzüberschuss nur noch sehr zurückhaltend im Ausland. Darüber hinaus wird sogar ein Teil des bestehenden Auslandvermögens zurück in die Schweiz gebracht. Dies hat die private Nachfrage nach Franken massiv erhöht. Dank den hohen Devisenkäufen der Nationalbank in den letzten Jahren konnte der dadurch entstandene Aufwertungsdruck auf den Franken teilweise aufgefangen werden.

Für den Aufwertungsdruck auf den Franken können also nicht ausschliesslich ausländische Investoren verantwortlich gemacht werden. Frankenanlagen müssen deshalb für alle Investoren weniger attraktiv gemacht werden. Wie ich eben ausgeführt habe, ist eine Differenzierung zwischen inländischen und ausländischen Investoren aus geldpolitischer Sicht nicht angebracht. Da die ausländischen Zinsen nahe null oder negativ sind, können die Schweizer Zinsen nicht an der Nulllinie verharren. Sie müssen in den negativen Bereich sinken, um die traditionelle Zinsdifferenz tendenziell wieder herzustellen.

Zumindest in der Analyse schein ich die Logik des SNB-Direktoriums nachvollziehen zu können. Sie scheinen die Fluchtwährungsrolle stärker zu betonen als ich. Aber ich verstehe sie richtig, dass es prinzipiell darum geht das Zinsdifferential wieder herzustellen.

Schweizer investieren weniger im Ausland

Die Zahlungsbilanzdaten lassen die ausländische Kapitalflucht als Erklärung für das Frankenhoch nur punktuell zu. Was bleibt sind die Investitionen der Schweizer im Ausland, wie sie auf der Aktivseite der Kaptialbilanz dokumentiert werden.

Die erwarteten Brüche sind klar sichtbar. Ledliglich die Direktinvestitionen scheinen nach der Finanzkrise in etwa gemäss dem vorherigen Trend weiter zu wachsen. Die Portfolioinvestitionen der Schweizer im Ausland stagnieren seit Jahresbeginn 2009 und die übrigen Investitionen (in erster Linie Bargeld und Einlagen bei Banken im Ausland) fallen deutlich zurück.

Nimmt man die Dynamik vor der Krise als Massstab, exportierten die Schweizer in den letzten sechs Jahren etwa 700 Mrd. Franken zu wenig Kapital. Gemäss dieser Handgelenk-mal-Pi-Rechnung fehlen 200 Mrd. CHF an Portfolioinvestitionen. Bargeld und Einlagen bei Banken im Ausland fallen um etwa 450 Mrd. CHF zu gering aus (s.u.).

BOP-CAP-AktivDer Knick bei den Portfolioinvestitionen rührt primär von der neuen Zurückhaltung bei ausländischen Schuldtiteln. Während sich die Zuwächse bei den Dividendenpapiere in etwa nach der Vorkrisendynamik entwickeln, kommen netto keine neuen Schuldtitel hinzu. Meiner Ansicht nach greift die europäische Staatsschuldenkrise hier als Erklärung zu kurz. Wäre das Rückzahlungsrisiko bzw. Auseinanderfallen der Eurzone die primäre Sorge gewesen, hätten die Schweizer sich mit deutschen Staatsanleihen eindecken können. Dies ist offenbar nicht geschehen, weswegen ich in einem späteren Post die Ursache beim Zinsdifferenzial suchen werde.

BOP-CAP-Portfolio-AktivDie stärkere Dynamik, eine Schubumkehr, verzeichnen aber die übrigen Investitionen. Die folgende Darstellung fokussiert auf Schweizer Bargeld, Einlagen und Kredite (BEK) bei Banken im Ausland. Deren Summe ist die zentrale Triebfeder hinter der Dynamik dieser Position der Schweizer Zahlungsbilanz. Konkret bestimmen Bargeld und Einlagen bei Banken im Ausland die entscheidende Rolle. Seit dem Jahreswechsel 2007/2008 ziehen die Schweizer netto liquide Mittel aus dem Ausland ab. Dabei ist nicht ersichtlich ob dieser Trend seine Ursache bereits vor der Finanzkrise hat. Der Abzug endet mit dem Neujahr 2011. Allerdings sind die Zuwächse seither vergleichsweise gering.

BOP-CAP-Other-aktivEine Zusammenschau der drei Artikel dieser Serie (1, 2, dieser) und meine Schlussfolgerungen präsentiere ich im nächsten Post.

Die Schweizer haben mehr Devisen als sie ausgeben wollen

Um den Frankenkurs zu verstehen, sind mehrere Blicke in die Schweizer Zahlungsbilanz sehr nützlich. Dieser erste Post gibt einen allgemeinen Überblick. Die folgenden diskutieren Details zur ausländischen Frankennachfrage und der schweizerishcen Nachfrage nach fremden Währungen (s.a. Inhaltsverzeichnis). Meinem Eindruck nach kann die Kapitalflucht in den sicheren Franken zwar gelegentlich etwas erklären. Grundsätzlich steckt aber eine Änderung im Fremdwährungsbedarf der Schweizer hinter dem Wechselkursverlauf.

Export & Banken bringen, Auslandsinvestitionen kosten Devisen
Für eine Übersicht zu den Schweizer Deviseneinkünften und -ausgaben habe ich die Zahlungsbilanz in drei Positionen zusammengefasst. Traditionelle Devisenbeschaffer sind der Exportüberschuss sowie Bargeld, Einlagen & Kredite (BEK) bei den Schweizer Banken. Gleichzeitig investieren die Schweizer mehr im Ausland als umgekehrt. Direkt- und Portfolioinvestitionen sind somit im Defizit. Beide Gruppen gegeneinader verrechnet hielten sich vor Ausbruch der Krise in etwa die Waage:

BOP-overviewBis 2008 stimmt dieser Zusammenhang ungefähr. Nach 2008 wuchsen Exportüberschuss und BEK-Beitrag bis zuletzt weiter. Alledings ging das ausgehende Nettoinvestionsvolumen deutlich zurück bis fast auf Null. Die Differenz wird hauptsächlich durch anschwellende Währungsreserven wett gemacht.
[Diese Zusammenfassung ignoriert die Zahlungsbilanzpositionen „Derivate“ und „Rest“.]

Volatile Bankeinlagen
Für die letzten beiden dargestellten Jahre ging deutlich Druck aus dem Kessel, denn der Überschuss aus Export und BEK fiel ebenfalls stark gegen Null. Es brauchte folglich nicht viel Kapitalexport um die Zahlungsbilanz auszugleichen. Dieser Rückgang ist in erster Linie eine Umkehr der BEK-Position:

BOP-DeviseneinbringerZwei Aspekte sind interessant:
Zum einen rutscht der BEK-Beitrag 2013 von einem Rekordüberschuss in ein -defizit. Dahinter liegt, dass sowohl weniger Geld zuströmt als auch die Schweizer wieder mehr in Fremdwährungen transferieren (bzw. weniger abziehen).

Zum anderen steigt nach 2008 der BEK-Beitrag deutlich an. Allerdings stecken dahinter nur punktuell Fluchtgelder. Zwar gibt es substantielle Zuströme in bestimmten Quartalen. Zweifellos haben dies Zuströme auch SNB-Interventionen ausgelöst. Allerdings sind sie vom Niveau her keineswegs ohne Vorgänger.

Die aus meiner Sicht ursächliche Entwicklung ist, dass die Schweizer aufgehört haben selbst in Fremdwährungen zu investieren.